Karoline Scheuer, geb. Haingartner, Cäcilia Szidanits, geb. Mayer, Anna Haingartner
Klostermarienberg
Erlebten mit, als am 29. März 1945 die ersten russischen Soldaten die Grenze überschritten.
Klostermarienberg blieb lange Zeit von den Gräueln des Zweiten Weltkriegs verschont. Einzig die Pflicht, die Häuser am Abend zu verdunkeln, erinnerte daran. Außerdem waren fast ausschließlich Frauen im Ort. Nur die ganz alten und jungen Männer waren noch da. „Aber zum Schluss wurden auch die 16 jährigen zum Volkssturm geholt“, sagt Cäcilia Szidanits.
Das Dorfleben war während des Krieges intakt. Sonntags ging man zur Kirche, es gab ein Geschäft, ein Wirtshaus und eine Trafik. Nur eines war ganz anders als vor und nach dem Krieg: „Ich war auch bei der Feuerwehr“, lacht Anna Haingartner. „Die Wirtin war der Feuerwehrkommandant.“
Obwohl sich ab Herbst 1944 immer mehr Gerüchte über die für die Deutschen schlechter werdende Kriegslage verbreiteten, glaubten viele noch an den Endsieg: „Hitler weiß schon, was er tut. Er lässt den Feind nur herankommen.“
Der Ostwall wird gebaut
Im Herbst 1944 kamen hunderte Menschen nach Klostermarienberg. Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und Freiwillige, die den Ostwall bauen sollten. Plötzlich waren mehr Fremde als Einheimische im Ort. „In unserem Vorderzimmer schliefen neun Vorarbeiter aus Oberösterreich“, sagt Karoline Scheuer. Die Schule wurde geräumt, die Lehrerin unterrichtete die Kinder erst in einer Hauseinfahrt, im Winter dann in ihrer eigenen Küche. Für die Arbeiter wurde im Pfarrhof in riesigen Kesseln gekocht, die Kinder mussten Erdäpfel schälen.
Die Panzergräben waren manchmal über zwei Meter tief und so breit wie ein großer Bach und zogen sich durch das ganze Dorf. „Die Laufgräben und Panzergräben teilten unsere Äcker. Zur anderen Hälfte kamen wir mit unserem Pflug nur über einen großen Umweg.“
Die rote Armee erreicht die Grenze
Mitte März waren die Arbeiter plötzlich weg. „Man hat schon gespürt, die Russen sind nahe.“ Gefechtslärm, Bombenexplosionen und Gewehrschüsse waren bereits zu hören. In den Laufgräben warteten junge Soldaten auf den Feind, viele nicht älter als 16 Jahre. Der Volkssturm, Hitlers letztes Aufgebot.
Das Wetter war schön am 29. März 1945. Kurz vor elf Uhr schlug der Meldereiter Alarm: „Die Russen sind schon ganz nahe.“
Der Eintrag in das Kriegstagebuch der deutschen Heeresgruppe Süd berichtet nüchtern: „Die ersten sowjetischen Truppen haben am 29. März 1945 um 11:05 Uhr bei Klostermarienberg die Reichsgrenze überschritten.“ Es gab kaum Widerstand. In russischen Aufzeichnungen ist zu lesen: „Wir sind über eine große Linie geschritten.“
„Als die Panzer von Ungarn durch den Wald in unsere Richtung gerollt sind, bekamen wir Angst“, sagt Cäcilia Szidanits. Sie lief mit ihrer Mutter zum Haus der Familie Plank, die einen Bunker gebaut hatte. Der Schutzraum war in einen Hang gebaut, der Eingang ebenerdig. „Plötzlich machte ein Soldat die Tür auf. Er trug eine braune Uniform. Wir schreckten uns, konnten aber nicht zurücklaufen, weil der Bunker so voll war. Die unbekannten Soldaten waren freundlich und verteilten sogar Süßigkeiten.“
„Wir versteckten uns bei der Marie-Tante“, erinnern sich Anna Haingartner und Karoline Scheuer. Der ganze Keller war voller Menschen, mehr als 30 versteckten sich dort. Zu Mittag stand ein Panzer direkt vor dem Haus und schoss mehrmals in die Luft. Alle waren vom Lärm verängstigt. „Die Marie-Tante war couragiert und ging mit einem weißen Leintuch hinaus. Danach gab sie den Soldaten Brot und Wein.“ Das beruhigte die Russen.
Die Menschen wagten sich aus dem Versteck. Mitten im Ort marschierte eine Gruppe russischer Soldaten, die einen Gefangenen in deutscher Uniform eskortierten. „Wir erkannten Herrn Horvath, er arbeitete im Zollhaus. Er war bleich im Gesicht, hatte Todesangst in den Augen. Minuten später hörten wir vom Ortsrand einen Schuss.“
In der Abenddämmerung des 29. März herrschte große Unruhe im Ort. Plötzlich standen drei deutsche Soldaten im Hof der Familie Haingartner. Jeder hatte eine Panzerfaust bei sich. „Die Männer baten uns, sie ein paar Stunden bei uns schlafen zu lassen“, erzählt Anna Haingartner. Als es dunkel wurde, weckte sie die drei und schickte sie weg. „Zuvor gab ich jedem ein Häferl Milch und ein Stück Brot.“ Nur 15 Minuten, nachdem die deutschen Soldaten durch den Hinterhof in der Dunkelheit verschwunden waren, betraten mehrere russische Soldaten durch das große Tor den Hof…
Viele russische Soldaten zogen weiter, andere rückten nach. Mit diesen Truppen kamen auch gewalttätige Männer in den Ort und damit die Angst. „Wir waren ganze Nacht wach, gingen von Haus zu Haus.“ In der ersten Nacht nahmen die Soldaten auch alle Pferde mit.
Die Tage nach dem Einmarsch
Später versteckten sich die Mädchen oft tagelang. Auch in Klostermarienberg waren Frauen vergewaltigt worden. Die Menschen versteckten auch Nahrungsmittel, viele davon wurden jedoch gefunden und beschlagnahmt.
Im Nachbarhaus von Cäcilia Szidanits stand ein großer Töpferofen. Die Leute füllten den Ofen mit Kleidung und Geselchtem und mauerten das Loch zu. „Die Russen haben diese Sachen nie gefunden.“
Eines Tages erschossen die Soldaten eine Gans im Garten von Familie Haingartner, ließen sie aber liegen. „Unsere Mutter putzte die Gans, wollte sie braten und sie uns ins Versteck bringen“, erinnern sich Karoline und Anna. Die Russen holten sich die Gans später doch: „Sie nahmen die Gans halbroh aus dem Rohr und aßen sie sofort.“
Die Zeit nach 1945
Die Lauf- und Panzergräben wurden nach Kriegsende von den Einheimischen zugeschüttet. Während der Besatzungszeit waren keine Russen in Klostermarienberg stationiert.
Anna Haingartner betrieb weiterhin Landwirtschaft. Cäcilia Szidanits arbeitete in Wien als Dienstmädchen und kam später nach Klostermarienberg zurück. Karoline Scheuer war in der Schweiz, in Salzburg und Wien tätig und arbeitete viele Jahre in einer Behindertenschule.
Viele Lauf- und Panzergräben im Wald sind noch heute zu sehen.