Elsa Bachkönig, geborene Schnecker
Überlebte das Massaker eines russischen Soldaten.
„Das Erste, woran ich mich erinnern kann, ist meine Oma“ sagt Elsa Bachkönig. „Sie hat mich oft in einem gehäkelten Schultertuch getragen.“ Elsa Bachkönig kam am 15. September 1937 in Deutsch Kaltenbrunn - Bergen Nummer 155 zur Welt. Elsa Bachkönig wurde sehr gläubig erzogen, betete täglich: „Mein Herzerl ist klein, darf niemand hinein als du mein liebes Jesulein“.
Die Großmutter lebte in der Hinterstube des alten Bauernhauses. Ihr lautes, schweres Atmen war schon Gewohnheit, nichts Ungewöhnliches. „Eines Tages aber war nichts mehr zu hören“, erinnert sich Elsa Bachkönig. „Die Oma wird ein Engerl“, sprach sich Elsa Mut zu. Ein Satz, den sie schon bald noch einmal sprechen würde…
Die letzten Kriegstage
Die Entscheidung im Zweiten Weltkrieg war längst gefallen, die Sowjets kamen von Süden und Osten, die Engländer drangen vom Westen Anfang April 1945 bis zur Lafnitz vor.
Am dritten April kamen die Sowjets nach Deutsch Kaltenbrunn – Bergen. „Wir hatten Angst und versteckten uns in einem Erdkeller hinter einem Kartoffelhaufen.“ Plötzlich standen zwei Soldaten im Raum. „Onkel Alois verstand ein paar Worte, er war in Russland im Krieg“, erzählt Elsa Bachkönig. Der Onkel verstand, dass nun alle erschossen werden sollten, einer der Soldaten bereitete bereits die Patronen vor. „Kinder kommt her, wir setzen uns in die erste Reihe“, sagte der Vater, der nicht einrücken hatte müssen. Die ganze Familie saß in der ersten Reihe und wartete auf den Tod… Plötzlich sagte der Onkel zu zwei Frauen: „Geht freiwillig mit, sonst sind wir alle tot.“. „Die Russen haben fast kein Mädchen verschont“, erinnert sich Elsa Bachkönig.
„Die Russen, die nach den Kampftruppen kamen, habe ich nicht negativ in Erinnerung. Schlimm waren bei uns nur die, die als Erste kamen.“
Das Massaker
Die Kampfhandlungen hatten sich schon beruhigt, als es geschah. „Wir waren oft bei unseren Nachbarn, der Familie Wagner, die hatten ein Baby.“ Die Soldaten respektierten Babys, die Mütter wurden nicht attackiert.
Als Elsa Bachkönig wenige Tage vor der Kapitulation der Deutschen wieder einmal zum Nachbarhaus der Familie Wagner ging, saß ein junger russischer Soldat in der Stube. Es war ein junger, kleiner Mann, vielleicht 20 Jahre alt. „Er hatte ein rundes Gesicht und wirkte sehr ungepflegt.“ Er trug einen Uniformmantel und eine Kappe. Sein Maschinengewehr hielt er zwischen den Beinen fest. Er begann immer wieder zu reden, doch niemand in der Stube verstand russisch. Die Stimmung wurde immer aufgeheizter, der junge Russe immer aggressiver, bis er schließlich laut zu schreien begann.
„Dovai! Dovai!“, „Geht weiter, Geht weiter“. Er lief aufgeregt in der Stube herum. „Dovai! Dovai!“. Elsa Bachkönig suchte hinter einer Frau Schutz. Ein anderes Mädchen versteckte sich unter dem Bett.
Plötzlich befahl der Soldat allen, sich in einer Reihe aufzustellen. Die kleine Erna Wagner weinte: „Jetzt müssen wir alle sterben“. Elsa Bachkönig, damals acht Jahre alt, beruhigte sie „Erna, weine nicht. Wir werden alle Engerl und kommen in den Himmel. Wie meine Oma.“
Sie hatte keine Angst und weinte auch nicht. Tiefgläubig blickte sie ihrem Schicksal entgegen. Dann schlug der Russe Herrn Wagner mit dem Gewehrkolben nieder.
Sekunden danach hallten Schüsse aus dem geöffneten Fenster der Vorderstube des Bauernhauses. Im Kugelhagel starben sieben Menschen, brachen sterbend auf dem Bretterboden zusammen. Elsa Bachkönig kann sich an die Schüsse selbst nicht mehr erinnern. Nur noch daran, dass sie dachte: „Warum fallen alle um?“. Sie wurde ohnmächtig. Weswegen, kann sie nicht erklären. Keine Kugel hatte Elsa Bachkönig getroffen, nicht einmal ein Streifschuss wurde später festgestellt. „Mein Schutzengel hat mir geholfen“, ist sie überzeugt.
Das Erste, woran sich Elsa Bachkönig wieder erinnert, ist eine heiße Patronenhülse, die auf dem Rücken von Frau Wagner liegen blieb. Und dass sie sich fragte: „Was wurde denn hier ausgeschüttet?“ Danach öffnete sie die Augen und begriff: Niemand hatte etwas verschüttet. Sie war im Blut der Erschossenen aufgewacht. Neben ihr lagen die sterbenden Theresia und Karl Wagner, mit ihren Kindern Reserl, zwölf Jahre, und dem kleinen sechs Monate alten Karl auf dem Arm seiner Mutter. Das Baby war tot. Agnes Wagner und ihr Sohn Albert, 13, wurden ebenfalls ermordet, Julius Staber wurde nur zehn Jahre alt. Insgesamt starben sieben Menschen im Kugelhagel von Deutsch Kaltenbrunn.
Als Elsa Bachkönig aus dem Fenster flüchtete, hörte sie noch die jammernden Opfer: „Nicht alle waren sofort tot.“
Warum das Massaker passierte, konnte nie aufgeklärt werden. Manche vermuten, dass auch dieser Soldat eine Frau vergewaltigen wollte. Niemand hatte jedoch Russisch verstanden wie Onkel Alois im Keller…
Die Jahre nach 1945
Das Massaker von Deutsch Kaltenbrunn – Bergen wurde nie aufgeklärt. Der Vater von Elsa Bachkönig kaufte das unverputzte Haus später, aus dem der Holzboden entfernt worden war. Nach einigen Jahren ließ er das Haus niederreißen.
Elsa Bachkönig heiratete früh, versorgte ihre drei Kinder und renovierte mit ihrem Mann ein altes Bauernhaus in Moschendorf, das heute als eines der schönsten in der Region gilt.
Vor kurzem besuchte sie in einer Kirche ein Konzert der Bolschoi Don Kosaken. Dabei kamen wieder die Gedanken an den jungen russischen Soldaten: „Vielleicht ist er so belastet durch diese Tat, die er begangen hat. Würde ich den Russen heute treffen, ich würde ihm verzeihen. Menschen machen oft Dinge, die sie schon kurz danach und dann ihr ganzes Leben lang bereuen.“